Der Trick mit dem Knie
Der Trick mit dem Knie
Sep - Riding lesson
Thursday, September 29, 2011
Der Trick mit dem Knie
Die Biker Generation der 80er steht wie keine andere für Anarchie, Freiheit aber auch für schnelle Bikes und Racing. Sie verabscheuen heute Schwimmwesten, kennen alle Champions von Roberts/Spencer bis Rossi/Stoner, sitzen heute noch bei fast jedem Rennen von der Glotze und fahren auch heute mit 150 PS, T-Shirt und kurzer Hose, wenn draußen die Toskana mit über 30 Grad lockt (Preußen sind hierbei natürlich ausgenommen).
Obwohl sie "früher" angeblich sehr schnell waren, haben sie sich meist heute aus der Materialschlacht zurückgezogen und auch wenn sie heute eigentlich immer noch recht schnell sind, reicht weder Ausdauer noch Risikobereitschaft an die heute 20 Jahre jüngeren Jungs heran. Diese Erkenntnis wurde oft durch einen oder mehrere Crashs schmerzhaft erfahren.
Manche von ihnen fahren heute Harleys … manche sind dabei mehr oder weniger glücklich … die meisten fahren Naked-Bikes oder Sporttourer … und einige wenige, machen ab und zu, das was sie früher, meist aus finanziellen Gründen nie tun konnten: Sie nehmen ein altes oder neues Race Bike (völlig egal) und toben sich damit auf einer Rennstrecke aus.
Die Fahrstiele haben sich dabei jedoch vor einigen Jahren fundamental geändert. Wahrend in den sehr frühen 80ern Super Heros dafür bewundert wurden, dass sie manchmal mit dem Knie den Asphalt berührten und diese Fahrweise ausschließlich später Schwanz und Co. vorbehalten war, wächst heute jeder 5 jährige mit dem Knie auf dem Boden auf. Für jemanden wie Wurmi JR sollte der alte Fahrstil natürlich schwer nachvollziehbar sein, aber wenn man sich einmal die Fotos einer Honda 550Four, einer Kawasaki Z900, einer Yamaha XS 750 oder einer Ducati 900 MHR ansieht und sich dabei klarmacht, dass dies die Realität war in der man aufwuchs, dann ist eine Werks Honda NS500 wesentlich weiter entfernt von diesen Möhren, als heute eine Yamaha M1 von einer R1.
Motorrad fahren ist wie mit Messer und Gabel essen, oder Schuhe schnüren. Man hat es einmal erlernt, es ging in Fleisch und Blut über und man kann die Art und Weise wie man etwas im Schlaf tut nur unter großen Anstrengungen verändern. Dabei muss man akzeptieren, dass man meist erst einmal bedeutend langsamer wird weil man einen Vorgang den man im Schlaf beherrscht durch einen anderen ersetzt der zum permanenten Nachdenken zwingt.
Eines der besten Beispiele ist die Hinterradbremse. In den 80ern gab es keinen der Super Heros, der eine Hinterradbremse betätigte. Die Erklärung war, dass das hintere Rad eh beim sportlichen Bremsen zu fasst 100% entlastet ist. Die 80er Generation vergaß die Hinterradbremse daher sofort nach der Fahrschule. Heute macht die Nutzung der Hinterradbremse Champions zu Champions und jeder erlernt sie von der Pike auf. In jedem Renntraining bekommt man zu hören, dass die Hinterradbremse nicht nur zum Anti Wheeling sondern auch vor allem Stabilisieren des normalen Bremsvorgangs notwendig ist. 100% vorne 15% hinten ist die Regel. Machen die 15% Bremse am Hinterrad schneller? Ja, aber nur wenn man nicht dabei nachdenken muss. Ansonsten macht es einen erst einmal wesentlich langsamer. Seit 4 Jahren versucht Mikel nun verzweifelt sich an die Hinterradbremse zu gewöhnen. Wie Paolo Casoli Mikel in Mugello erklärte macht die Hinterradbremse keinen Sinn wenn man darüber nachdenken muss. Er weiß selbst, dass es falsch ist, aber er gehört auch zur alten Schule, die ohne Hinterradbremse 1997 noch Weltmeister wurden. Paolo meint man kann auch ohne Hinterradbremse verdammt schnell fahren. Mikel ist immerhin nach 4 Jahren soweit dass, die Hinterradbremse bei langen Geraden nutzt, bei denen es genügend Zeit zum Überlegen gibt. Paolo ist es vermutlich Schuld, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Danke also für den Tip;)
Zurück zum Knie … Von den "Alten" haben die meisten den englischen Fahrstiel bei behalten. Neckel, Flick oder auch Paulo sind gute Bespiele. Die Jungs sitzen dabei wie Hailwood persönlich kerzengerade auf ihren Bikes.
Dass vor allem Paulo dabei schweineschnell ist konnte man mehrfach in Misano bewundern.
Andere wie Hansi, Gio oder Mikel fingen an ihren Stil zu verändern und den neuen Fahrern nach zu eifern. Was dabei heraus kann, ist ein Stil der sich über Jahre hinweg einbrannte und der sich nur sehr schwierig abgewöhnen lässt. Wieso? Weil er einen die letzten Jahre schneller gemacht hat, als der alte! Man bleibt dabei nicht gerade auf dem Motorrad sitzen und hält dabei den Lenker fest in der Hand, sondern lenkt das Motorrad mit den Füssen und lässt den Lenker bis auf zwei Finger völlig los. Der Schwerpunkt wird dabei zum Kurveninneren verlagert. Man muss erheblich mehr arbeiten als beim englischen Stiel aber mit -auf dem Knie fahren - hat das Ganze erst mal nichts zu tun. Gelegentlich setzt man dabei das Knie auf aber das ist vor allem durch extreme Schräglagen, breite Hinterreifen und lange Beine zu erklären.
Auf dem Internet gibt es zahllose Anleitungen um den hanging-off Stil zu erlernen. Am Ende zeigen sie alle auf wie es gemacht wird, sie sagen einem aber nicht was man falsch macht und was machen anders machen sollte. Mikel entschloss, dass er, falls er eines Tages den Stil ändert beschreibt woran es hing und was geändert werden musste.
Hansi experimentierte damit vor Jahrzehnten schon auf seinen Yamaha RD’s. Ausserdem spielen er (damals 17) und Mikel (damals 18) regelmäßig mit Mikels erster Pantah.
Wenn man aus dem oben beschrieben Stil versucht sich noch mehr neben das Bike zu hängen passiert folgendes: Die Schräglage wird größer und zur Stabilisierung wandert das Knie an der Verkleidung entlang nach vorne. Man ist schnell wird aber nicht schneller dadurch.
Das Aufsetzen des Knies was vorher bei besonders schneller und schräger Fahrweise der Fall war, verschwindet. Klar denn wenn man das Knie an der Verkleidung hat denn setzt es selbstverständlich nicht auf. Das Ganze sieht super spektakulär aus bringt aber unter dem Strich wenig.
Nachdem man sich so selbst irgendwann in eine Sackgasse gefahren hat, geht man wieder auf den Ursprünglichen Fahrstiel zurück. Mikel taufte ihn irgendwann Alex Hoffmann Fahrstil. Das liegt daran, dass Alex mit seinen langen Beinen immer den Asphalt berührte… er jedoch nie oder kaum daneben hing.
Auf den meisten Fotos erkennt man den Stil daran, dass man beide Knie gleich weit weg gespreizt hat. Während das eine den Boden berührt hängt das andere in der Luft. Es fährt sich prima so und es gibt wie gesagt nur einen größeren Nachteil. Die Schräglagen sind wie bereits mehrfach erwähnt zu hoch. Die Reifen sind dabei nicht das Problem. Moderne Reifen machen heute viel mehr mit als Normalsterbliche wie Mikel sich trauen würden. Das Problem sind die Füße!
Als Mikel dieses Jahr vom Hockenheim zurück kam meinte Gio am Telefon: "Ich hab gesehen Du fährst jetzt auf dem Knie durch die Kurve.” Das war aber nichts anderes als der gute alte Alex Hoffman Fahrstiel. In Mugello sollte dies sich dann ändern.
Die Erleuchtung kam schon in Hockenheim als Mikel zum ersten Mal mit einer neuen Monster Schräglagen fuhr. Mikel's Bike’s haben fast alle hochgelegte Fußrasten. Auch die Monster S4RS… Schräglagen sind damit kein Problem. Eine Standardmonster 798 jedoch hat original Rasten. Diese setzen nun nicht gerade früh auf, aber wenn man "lange" Beine hat müssen die Füße irgendwo hin. Man wird gezwungen sich bis auf die Äußersten Fußspitzen zurück zu ziehen. Auch wenn man Jahre lang dachte man fährt auf den Fußspitzen so ist dort noch viel Platz. Das ist dann eins der Schlüsselerlebnisse! Ein anderes ist das man gar nicht drum rum kommt das Bike anzuheben damit es einem nicht auf die Füße fällt. Aus diesen beiden Sachen ergibt sich dann zwangsläufig irgendwann das hanging-off.
Mach es schneller? Unwahrscheinlich … auf jeden Fall nicht spürbar. Das Tolle ist aber, es macht nicht langsamer. Man denkt eigentlich kaum darüber nach und vergisst daher auch was anders ist. Vermutlich hilft eine neue Rennstrecke wie Mugello. Mugello ist eh eine super hanging-off Strecke da sie eigentlich nur aus einer Ansammlung von schnellen Kurven besteht. Wenn es also erst mal nicht schneller macht, wieso macht man es dann? Abgesehen davon dass es geil ist wenn man den Eindruck hat, sich zwischen dem Bike und dem Asphalt zu fühlen, ist es vielleicht beschreibbar als eine Frage der Sicherheit. Beim alten Fahrstiel gibt einem das Knie zwar ein wenig Rückmeldung, aber eigentlich ist es nicht sehr befriedigend. Beim neuen Fahrstiel wird das Ziel interessanter Weise automatisch erst mal den Asphalt zu ertasten. Das gibt einem eine Art Sicherheit und man tastet sich die Ganze Kurve lang bis zum Kurvenausgang auf den Pads durch die Kurve. Natürlich kommt einem das alles länger vor als es ist. Man weiß zu jedem Zeitpunkt wo der Asphalt anfängt und das gibt Sicherheit.
Die neuen Jungs lächeln natürlich über den ganzen Eifer. Sie sind damit aufgewachsen und müssen sich nichts abgewöhnen was über Jahrzehnte angeeignet wurde. Natürlich gibt's auch hierbei Unterschiede. Während Cousin Mike sich extrem neben das Bike hängt, ist bei Toto alles im üblichen Bereich.
Mikel hatte sich, wie gesagt, vorgenommen den Trick zu verraten wenn er wirklich den Fahrstiel ändert. Was ist also der Trick dabei?
1. Weite Blickführung (aber das ist ja selbstverständlich, sonst hat man nichts auf einer Rennstrecke verloren)
2. Man stellt sich vor man hätte Spiegel (wie in richtigen Leben aber ohne Spiegelglas drin). Man schaut also durch diese imaginären Spiegel nach vorne am Bike vorbei.
3. Man fährt auf der inneren Fußspitze (dort wo der dicke Zeh anfängt) und steht in der Kurve nicht etwa auf der Fußraste sondern auf der Kante der Fußraste. Dadurch wandert das Knie nicht an der Verkleidung entlang nach vorne sondern raus zum Asphalt. Das ist der Trick!
Das war's schon. Es ist eigentlich super einfach! Die einzigen feststellbaren Nachteile sind wie bei jedem Hochleistungssport Muskelkater und totale Erschöpfung wenn das Adrenalin nachlässt:)
Toto’s Schlüsselerlebnis beschreibt er oft als den Tag an dem er zum ersten Mal am Ring das Knie auf der Erde hatte. Er weiß heute noch genau die Kurve bei der der König war. Bei Mikel ist das Schlüsselerlebnis rausgefunden zu haben wie man den Fahrstil umstellt. Das Knie auf der Erde war schon in den wilden 80ern. Aber halt nicht am Kurveneingang sondern nur kurz bei maximaler Schräglage. Ausser das man damals stolz wie Oscar über ein paar Schrammen am Schleifer war, hatte das Knie in Wirklichkeit kaum eine Bedeutung.
Übrigens das Ganze funktioniert mit egal welchem Bike. Eine Hypie ist da auch kein Problem.
Zum Schluss noch das Wort zum Sonntag: Alt wird man an dem Tag an dem man nichts neues mehr lernt!
Das war's schon. Es ist eigentlich super einfach! Der Nachteile sind wie bei jedem Hochleistungssport Muskelkater und totale Erschöpfung wenn das Adrenalin nachlässt:)